Vor den beiden Piloten leuchtete als zusätzliches Signal ein bernsteinfarbenes Warnlicht auf. Es bedeutete, dass die vordere Pumpe im linken Tragflächentank mit abnorm geringem Druck arbeitete. Pearson öffnete ein Umleitungsventil, sodass das linke Triebwerk aus dem rechten Tragflächentank gespeist werden konnte, bis er und sein Copilot Quintal wussten, was sie als Nächstes unternehmen sollten.
Die Sekundenanzeige auf Pearsons Digitaluhr hatte nur wenige Male geblinkt, als vier weitere Piepser des Alarmsystems durch die angespannte Atmosphäre im Cockpit schrillten. Auf dem Monitor erschien eine neue Nachricht: die bedrohliche Meldung, dass jetzt die zweite Pumpe im linken Tragflächentank ausfiel.
Unverzüglich traf der Kapitän seine Entscheidung: »Wir fliegen nach Winnipeg.« Dieser zweite Ausfall konnte kein Zufall sein. Pearson war zu dem Schluss gekommen, dass das Versagen der beiden Pumpen eine gemeinsame Ursache hatte. Offensichtlich gab es im linken Treibstoffsystem ein schwer wiegendes Problem.
Plötzlich erklangen vier weitere Piepser mit einer weiteren Schreckensnachricht, und innerhalb von wenigen Sekunden weitere vier. Insgesamt sechs bernsteinfarbene Lampen glommen auf der Instrumentenkonsole. Die unheilschwangere Bedeutung dieser Lichter ließ den drei Männern im Cockpit Schweißperlen auf die Stirn treten. Das Problem beschränkte sich nicht nur auf den linken Treibstofftank. Jetzt versagten alle sechs Pumpen für die drei Tanks. Was auch immer die Ursache war, die Auswirkungen des Problems verstärkten sich rapide.
»Verdammt, die gehen alle aus«, rief Pearson.
Seit dem Beginn der Krise waren neun anscheinend endlose Minuten verstrichen, als ein scharfes Bong! die Männer aufschreckte. Das war das Geräusch, das sie erwartet und gefürchtet hatten.
»Triebwerk links ausgefallen«, bestätigte Pearson.
Plötzlich tauchte das Cockpit in Dunkelheit. Die farbigen, leicht lesbaren Anzeigen, die digitalen Instrumente, sogar die Uhr und die drei Thermometer, ja, der ganze elektronische Schnickschnack im Cockpit des modernsten Verkehrsflugzeugs der Welt waren von einem Augenblick zum anderen verschwunden.
»Wieso habe ich keine Instrumente mehr?«, fragte Pearson ungläubig.
Die Antwort war ebenso einfach wie erschreckend. Die hypermoderne Technik im Cockpit einer 767 brauchte Strom aus den Generatoren, die von den beiden Triebwerken am Laufen gehalten wurden, und jetzt waren alle beide ausgefallen.
Das Undenkbare war geschehen. Kapitän Bob Pearson und Erster Offizier Maurice Quintal befanden sich in 8500 m Höhe über Zentralkanada an Bord einer 767 mit 61 Passagieren und acht Crewmitgliedern, immer noch über 160 km von Winnipeg entfernt, und hatten weniger Instrumente und Steuermöglichkeiten zur Verfügung als der älteste noch fliegende Oldtimer.
So unmöglich es auch erschien, aber der Treibstoff war ausgegangen.
Wie konnte das passieren?
Im Elektronikraum einer 767 steht eines der Wunderwerke des EDV-Zeitalters – der Treibstoffrechner. In dem Gerät von Flug 143 gab es jedoch einen Fehler.
In Montreal sollte der Betankungstechniker Tony Schmidt die Tanks mit den 22.300 kg Kerosin füllen, die auf seinem Betankungsauftrag vermerkt waren. Da die Treibstoffanzeige des Flugzeuges ausgefallen war, musste er sich auf die an seinem Tankwagen verlassen. Doch dabei gab es ein Problem, denn diese Anzeigen maßen den Treibstoff in Litern, nicht in Kilogramm. Er musste ein bestimmtes Volumen an Treibstoff in die Tanks pumpen, damit sich dort die gewünschte Masse an Kerosin befand. Das Problem, das sich ihm und den anderen Wartungstechnikern stellte, erinnerte an eine Textaufgabe im Mathematikunterricht.